Schriftsteller

Von Jürgen Kullmann

Dublin, die Stadt der trinkenden Dichter und dichtenden Trinker. Man findet ihre Werke im Dublin Writers‘ Museum, einem restaurierten georgianischen Haus aus dem 18. Jahrhundert am Parnell Square. Der trinkende Dichter par excellence war Brendan Behan, „der berühmte Dubliner Trinker mit einem Schreibproblem“, wie Noel Cummins von der Irish Actors Theatre Company nicht müde wird zu erzählen. Mit einem Dutzend Pints und zwei Flaschen Whiskey pro Tag förderte er in der Spätphase seines Schaffens den Gedankenfluss, die Schreibmaschine brachte er mit in McDaid’s Bar. Manch einer kennt seine ‚Bekenntnisse eines irischen Rebellen‘, doch jeder sein Lied ‚The Ould Triangle‘. Es gibt eine Aufnahme, in der es der Meister – von einem Räuspern unterbrochen – selbst vorträgt.

Der irische Pub, Ort der Inspiration nicht nur von Brendan Behan. Und so ziehen Besucher aus aller Welt durch Dublins Kneipen, um von jener Inspiration zu atmen, die ihre Vorbilder beflügelte. Nicht weit vom McDaid’s liegt ‚The Duke‘, in dem allabendlich eine literarische Pubbekriechung startet, bei der zwei Schauspieler Touristen durch die Lieblingskneipen der Dubliner Literaten schleusen und dabei aus ihren Werken vortragen. Sie beginnt über dem Schankraum des Duke mit einem Ausschnitt aus ‚Warten auf Godot‘, und wer dieses Warten aus seiner Schulzeit als öde und langweilig in Erinnerung hat, der wird von Colm Quiligan und seinem Partner eines Besseren belehrt. Der Urheber des Wartens, Samuel Beckett, wuchs im Nobelvorort Foxrock auf, wo heute die Diplomaten wohnen und, wie uns bei der Durchfahrt ein Busfahrer verriet, die Bewohner eine Brücke zur Kirche auf der gegenüberliegenden Straßenseite bauten, um dort jeden Morgen das ‚Ich dank Dir für mein Geld‘ zu beten – in der einzigen Kirche Irlands, die bei der Kollekte Kreditkarten akzeptiere.

Vorwärts in die Vergangenheit. Vielen sind ‚Gullivers Reisen‘ ein Begriff, auch wenn sie das Werk nur als verstümmelte Kinderbuchfassung kennen, doch nicht jeder weiß, dass ihr Autor Jonathan Swift Dekan der St. Patrick’s Kathedrale war. Er sah die sozialen Probleme im Lande und schlug Wege aus der Armut vor. 1729 veröffentlichte er einen ‚bescheidenen und wohlerwogenen Vorschlag‘, die Kinder armer Leute zu schlachten und den vornehmen Herrschaften als Festtagsbraten zu ver- kaufen. Die Idee hat sich nicht durchgesetzt und die Obdachlosigkeit zugenommen. Und wer Hausangestellte beschäftigt, sollte seine in seinem Todesjahr veröffent- lichten ‚Anweisungen für Dienstboten‘ besser wegschließen.

Oscar Wilde Skulptur
Oscar Wilde Skulptur

Von der St. Patrick’s Kathedrale ist es nicht weit zum Merrion Square. In No. 1 wuchs der junge Oscar Wilde heran und erwarb das Selbstbewusstsein, mit dem er Jahre später bei seiner Einreise in die USA einem amerikanischen Zöllner erklärte: „Ich habe nichts zu deklarieren als mein Genie.“ Doch wandern wir weiter um den Platz und kommen zu Haus No. 70, dem Wohnsitz von Joseph Sheridan Le Fanu, dem Meister viktorianischer Schauergeschichten. Solange seine Frau Susan lebte, ein freundlicher und beliebter Gastgeber, zog er sich nach ihrem Tod von der Welt zurück, empfing selbst seine ältesten Freunde nicht mehr und schrieb von Mitternacht bis in die Morgendämmerung bei Kerzenlicht seine düsteren Geschichten. Willing to Die, lautet der Titel seines letzten, 1873 veröffentlichten Romans, und mit ihm starb er.

Nun sind es nur noch wenige Schritte bis zu No. 82. William Butler Yeats wohnte hier, der Romantiker unter den Schriftstellern und Gründer des Abbey Theaters. Gleich neben ihm residierte der Dichter und Maler George William Russell, besser als Æ bekannt. Eines Tages verließen Yeats und Æ gleichzeitig ihr Haus, um den jeweils anderen zu besuchen, Yeats in den Himmel star- rend, Æ sein Gesicht die Probleme dieser Welt lösend im Bart vergrabend. An die Tür ihres jeweiligen Nach- barn klopfend erfuhren sie, dass er nicht daheim war.
Noch einmal zu Yeats. ‚Down by the sally gardens my love and I did meet‘ beginnt eines seiner Gedichte, das heute oft für ein altes Volkslied gehalten wird. „Lasset uns fortfahren, Geschichtenerzähler, und furchtlos jede Beute ergreifen, nach der unser Herz begehrt“, schreibt er in der Einleitung zu ‚The Celtic Twilight‘, „alles existiert, alles ist wahr, und die Erde ist nur ein bisschen Staub unter unseren Füßen.“ Joyce warf ihm vor, mit seinem Theater vor dem Volksgeschmack zu kapitu- lieren, doch Yeats strafte ihn Lügen, als er bei den Tumulten nach der Uraufführung von John Millington Synges ‚Ein Held der westlichen Welt‘ auf die Bühne trat und sich demonstrativ vor den Autor stellte. Was hatte Synge verbrochen? Er hatte einen Angeber und Feigling als irischen Helden auf die Bühne gebracht. Manch einer kennt seinen Bericht über das Leben auf den Araninseln, doch auch Synge war ein Dubliner, geboren im südlichen Vorort Rathfarnham.

Wir verlassen den Merrion Square. Die Wildes von No. 1 kannten die Shaws aus der Upper Synge Street, die nur einen Spaziergang entfernt liegt. Oscars Vater William, ein bekannter Augenarzt, operierte George Bernards Vater am Grauen Star, wenngleich mit wenig Erfolg. George Bernards scharfe Zunge ist bekannt; „er hat keine Feinde, aber seine Freunde können ihn nicht ausstehen“, berichtete Oscar Wilde. An Schlagfertigkeit mangelte es Shaw nicht. Als nach der Uraufführung seiner Deserteur-Komödie ‚Helden‘ das Publikum applaudierte derweil ein Kritiker ein Pfui! in den Saal rief, antwortete er gelassen von der Bühne: „Ich versichere dem Herrn in der Galerie, dass ich ihm voll und ganz beipflichte, aber was können wir gegen ein ganzes Haus machen, das gegenteiliger Ansicht ist?“

Nur eines seiner Stücke spielt in Irland: John Bull’s Other Island wurde 1904 vom Abbey Theater zurückgewiesen und feierte in London einen großen Erfolg, wohin der 20-jährige nach dem Tod seines Vaters seinen Wohnsitz verlegt hatte. Um die Zukunft seiner alten Heimat sorgte er sich nicht: „Solange Irland noch Leute hervorbringt mit genügend Verstand, ihm den Rücken zu kehren, existiert es nicht umsonst“, stellte er feinsinnig fest. Es war die Zeit des keltischen Literaturrevival, und doch gab es da in Dublins Nordstadt einen Mann, der mit keltischer Mythologie und Träumen gar nichts am Hut hatte: James Joyce. Nicht alle waren überzeugt, dass er den richtigen Beruf gewählt hatte. „Jim hätte bei der Musik bleiben sollen, anstatt sich mit dem Schreiben abzu- plagen. Ich habe ihm immer gesagt, er solle das Schrei- ben sein lassen und wieder singen. Daran zu denken, dass er einst auf der gleichen Bühne wie McCormack stand!“ So seine Lebensgefährtin und spätere Frau Nora Barnacle, denn ihr Jim hatte eine angenehme Stimme, spielte nicht schlecht Gitarre und hatte sich 1904 zu einem Musikwettbewerb angemeldet, auf einer Bühne, auf der schon der berühmte Sänger John McCormack gestanden hatte. Doch Joyce befolgte ihren Rat nicht. Mehr über ihn erfahren Sie im Haus No. 35 an der Great George’s Street, das sich heute James Joyce Centre nennt.

Wohin nun? Etwas westlich von hier und immer noch nördlich der Liffey wurde 1880 in der Upper Dorset Street Sean O’Casey geboren, der auch nicht viel mit keltischer Mythologie im Sinn hatte. In seinen Dramen findet man starke Frauen, so in dem Bürgerkriegsstück ‚Juno und der Pfau‘. Lesenswert ist seine sechsbändige Biographie, auch wenn der erste Satz über anderthalb Seiten geht. Eine Zeit lang war O’Casey Sekretär der Citizen Army, die unter James Connelly den Osterauf- stand von 1916 unterstützte. Die Zentrale der Auf- ständischen passieren wir auf dem Weg zurück in die Südstadt: das General Post Office und ‚größte Gebäude der Welt‘.

Diese Erkenntnis haben wir Flann O’Brien alias Myles na gCopaleen (dt. Myles von den Pferdchen) zu verdanken, mit dem sich der Kreis zu denen schließt, die ihren Geist mit geistigen Getränken stimulierten. Er gab in seinen Rundfunkbeiträgen Trost und Rat und stellte fest, dass, wenn man alle Iren addiert, die sich nach eigenen Angaben am Ostermontag 1916 im General Post Office aufgehalten hatten, es mehr als eine Million Menschen fassen muss und damit das größte Gebäude der Welt ist. Flann O’Brien, der auf Gälisch und Englisch schrieb, lebte seit 1923 in der Hauptstadt und starb hier 1966 an Krebs. Als ihn sein Biograph Anthony Cronin kurz vor seinem Tod im Krankenhaus besuchte, brachte er natürlich Whiskey mit, und O’Brien beklagte sich, die Leute würden immer mehr trinken als sie mitbrächten – dies sei in Dublin so Brauch. Heute findet man seine Werke in jeder Buch- handlung, und ‚At Swim-Two-Birds‘ (dt.: In Schwimmen- Zwei-Vögel) wurde Jahre nach der Erstveröffentlichung zu einem Bestseller. „So hätte Joyce geschrieben, wenn er nicht bescheuert gewesen wäre“, zitiert der Autor das ‚einfache irische Volk‘. „Hoffentlich merken die Kritiker hier, was ihnen beim Ulysses entgangen ist: dass es ein komisches Buch ist“, bedankte sich dieser.

Zum Schluss ein Sprung in die Gegenwart. Roddy Doyle, geboren 1958 in Dublin, versuchte sich wie James Joyce als Schullehrer, ehe er sich auf das Schreiben konzen- trierte. Seinen gefeierten Roman ‚Paddy Clarke Ha Ha Ha‘ haben wohl mehr Iren als den Ulysses gelesen, auch wenn weniger ihn besitzen. Vier Literaturnobelpreis- träger hat Irland bislang aufzuweisen. Joyce befindet sich nicht darunter – und Doyle ist ja noch jung.

Der Autor: Seit Herbst 1998 bringt Jürgen Kullmann auf seiner Internetpräsenz www.irelandman.de täglich Nachrichten aus Irland, daneben Reisetagebücher — zwei davon über seine ‘Dublinabenteuer’ — und vieles mehr. Der obige Artikel erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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